17.08.2018

Eines der größten Hindernisse im digitalen Handel ist seit jeher das fehlende haptische Einkaufserlebnis. Zumindest theoretisch scheint dieses Hindernis durch Augmented Reality (AR) überwunden worden zu sein. Und doch kommt die Technologie im E-Commerce bislang nur selten zum Einsatz. Vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen spielt AR, also die Überlagerung von Livebildern mit, meist visuellen, Objekten und Informationen, in der Regel noch keine Rolle. Für viele ist die Anschaffung und Einbindung der Technik schlicht zu teuer. Trotzdem lohnt es sich auch für sie, über die Vorteile von AR für den Handel von morgen Bescheid zu wissen.

Kundennutzen erkennen

Abgesehen von den Bereichen Wissenschaft und Produktionsplanung findet AR-Technologie bereits heute den größten Nutzen in der Mode- und Inneneinrichtungsbranche. Große Unternehmen wie Amazon, Zalando oder IKEA bieten ihren Kunden Lösungen an, über die sie die angebotenen Produkte, je nach Kategorie, online „anprobieren“ oder in den eigenen vier Wänden „platzieren“ können. Auch wenn die meisten Lösungen bislang noch nicht länderübergreifend angeboten werden oder die Entwicklung teilweise noch nicht abgeschlossen ist, für die Brachenriesen ist klar, wohin die Reise geht.

Trotzdem war es verfrüht zu behaupten, wie dies viele Beobachter zu Beginn des Jahres taten, dass 2018 den Durchbruch von AR im E-Commerce bringen würde. Auch wenn sich ein Trend abzeichnet, von Durchbruch kann sicherlich noch keine Rede sein. Kleinere Wettbewerber sollten sich dennoch heute schon auf die Zukunft vorbereiten und ihre Online-Präsenz dahingehend optimieren, dass die neue Technik problemlos integriert werden kann. AR sollte dabei nicht als nette, technische Spielerei abgetan, sondern als die bahnbrechende Innovation verstanden werden, die sie zweifelsohne ist.

Mit Augmented Reality zu Augmented Sales – digital wie analog

Fakt ist, dass sich Konsumenten bewusster für ein Produkt entscheiden, wenn sie dieses vor dem Kauf in dreidimensionaler Umgebung sehen, fühlen, hören, riechen oder schmecken können. Ein Beispiel liefert der Spielzeughersteller LEGO, der Kunden seit 2010 mit seiner LEGO Digital Box die Möglichkeit bietet, die Inhalte einer Packung in 3D dargestellt zu bekommen. So lässt sich vorab detailgetreu anzeigen, welche Bauoptionen sich durch die jeweilige Packung ergeben. Die Umsätze in den Stores, die mit der Box ausgestattet wurden, sollen durch die neue Technologie „deutlich gestiegen“ sein.

Interessant ist an dem Beispiel vor allem, dass AR eine neue Form des Marketings darstellt. Während Fotos und Videos zwar auch visuelle bzw. aurale Eindrücke vermitteln, ist die Immersion des Betrachters, also das Eintauchen in die Markenwelt, weitaus unmittelbarer, wenn einem diese in reeller 3D-Umgebung geboten wird. Technisch möglich wäre es schließlich auch, den Kunden die einzelnen eingescannten Bauteile virtuell zusammenfügen zu lassen.

Darüber hinaus vermag AR-Technologie den stationären und digitalen Handel effektiv zu verbinden. Die Grenze zwischen analogem und digitalem Einkaufen wird durch AR verwischt, ohne, dass dies auf Kosten des stationären Handels geht. Im Gegenteil, für beide Einkaufserlebnisse bietet die Technologie Vorteile, da sie die Schwachstellen beider Welten auszubessern vermag. Was auf der digitalen Seite einen Haptikersatz bedeutet, bietet auf der analogen Seite die Möglichkeit, für fehlende Kapazitäten zu kompensieren. So lassen sich beispielsweise weitere Artikel, für die kein Platz im Lager ist, durch AR-Technologie präsentieren und über eine integrierte Kaufoption direkt im Ladengeschäft bestellen. Der stationäre Handel wird so zum Ausstellungsraum für das gesamte Angebot eines Geschäfts, nicht nur für die Produkte, die vor Ort Platz finden.

Der synergetische Effekt von AR kann also dazu beitragen, den in vielen Bereichen abgehängten stationären Handel wieder auf die Beine zu bringen und ihn am technischen Fortschritt teilhaben zu lassen.

Technologisch ausbaufähig

Natürlich lassen sich mit AR und der dazugehörigen Technik bislang nur visuelle oder akustische Eindrücke simulieren, wenn auch immersiver als durch andere Medien. Zukünftig sollen aber auch Tast-, Geruchs- und Geschmackseindrücke technisch reproduzierbar sein. Spätestens wenn das möglich ist, wird AR zu einer gänzlich neuen Form der Realitätserfahrung herangewachsen sein, was auch mit einer Revolution in unserem Kaufverhalten einhergehen wird.

Ob man es nun Durchbruch nennt oder nicht, ein Wendepunkt ist es allemal. Auch für den E-Commerce-Sektor bietet Augmented Reality eine ganze Reihe an Vorzügen, die das Einkaufen im Internet zu einer noch eindringlicheren Erfahrung machen werden.